- LEUTE, TITEL
Ich spiele nicht, ich bin
Hildegart Scholten ist Kabarettistin und eine Kunstfigur. Sie hat uns verraten, wer hinter ihr steht und warum sie Kabarett, Köln und Sülz mag.
Wann und warum ist aus Ihnen Hildegart Scholten geworden?
Frau Scholten war immer in mir und ist vor bald 20 Jahren zum ersten Mal aufgetreten. Schon als Kind habe ich die Bühne geliebt. In meinen Programmen reflektiere ich mein Leben. Das ist für mich gut, aber das kann auch jede:r aus dem Publikum gebrauchen. Ich finde es wichtig, dass man zwischen der Welt, was man selbst sein möchte und wie man ist, reflektiert. Frau Scholten bringt Menschen in Situation, ruft so Gefühle hervor und bespricht diese mit dem Publikum. In ihrer unspektakulären Art ist Hildegart Scholten besonders.
In Ihren Programmen spielen Familie, Freunde und Bekannte eine große Rolle. Warum?
Ich bin Ansprechpartnerin, spreche gern Leute an, tausche mich mit ihnen aus. Aus meinen Erlebnissen von meiner Kindheit bis heute schöpfe ich für meine Programme und bringe auf die Bühne, was mich berührt, und ich denke auch mein Publikum, bewegt.
Was sind für Sie wichtige Themen?
Frau Scholten sind Verantwortung und soziale Kompetenz wichtig. Da sitzt jemand im Publikum und ist Projektmanager für erneuerbare Energien. Da ist es dann, das Thema zwischen Hildegart Scholten und dem Publikum. Erneuerbare Energien, Windenergie ist gut und wichtig, aber wie kann Wind erneuerbar sein. Wenn der Wind vorbeigerauscht ist, dann ist er doch weg. Oder rechnet man mit Gegenwind. Mit Rückenwind ist Fahrrad fahren noch besser.
Sie sind auf einem Bauernhof mit Gasthof mit vielen Geschwistern und Ihren Eltern aufgewachsen. Was ist Ihnen für Ihre Programme aus dieser Zeit wichtig?
In meiner Kindheit habe ich gelernt, vieles auf dem Hof allein zu machen. Dafür mussten wir aber auch Verantwortung übernehmen. Wir durften Feuer machen, aber nichts abfackeln. Wir mussten mit dem Fahrrad zur Schule fahren, egal welches Wetter war, und ich bin immer gut angekommen. Aber manches war auch so, dass ich mich gefragt habe, warum jetzt nicht meine Eltern an meiner Seite waren. Zudem sind wir oft umgezogen, weil sich unsere Eltern um ihre alten Eltern gekümmert haben, also sehr sozial waren.
Warum sind Sie nach Köln, wann nach Sülz gekommen?
Ich bin auf dem Dorf groß geworden und in eine wunderbare Schule gegangen, in der junge Lehrer:innen uns alle durch die Prüfungen gebracht haben. Als wir dann zur Abifahrt in Köln waren, habe ich mich sofort in die Stadt verguckt und bin dann zum Studium hierhergekommen und hier in Sülz geblieben.
Was macht Köln, was Sülz aus?
Köln ist die nördlichste italienische Stadt. Köln ist nicht schön, aber hier kennt man alle und man kann die Stadt an einem Tag durchqueren. Die Menschen hier sind offen und kommen schnell ins Gespräch. Wenn man jemanden kennengelernt hat, kennt man ihn oder sie auch 30 Jahre später noch. So ist auch Sülz. Selbst wenn ein Besitzer eines Ladens wechselt, bleibt die Bedienung meist. Und Sülz ist wie ein Dorf: Kirche, Schule, Wohnung, alles hier in der Nähe.
Während wir vor der Cantina Mexicana an einem Tisch sitzen und uns unterhalten, halten drei Leute an, begrüßen Frau Scholten und damit die Frau, die hinter ihr steht, und uns freundlich und halten einen kleinen Plausch.
Und wer steckt hinter Hildegart Scholten?
Im wahren Leben heiße ich Maria Luise Winkendick und arbeite als Lehrerin an einem Berufskolleg. In Teilzeit stehe ich im Klassenraum, abends trete ich auf. Die Arbeit als Lehrerin ist auch ein wenig so, als würde ich auf der Bühne stehen. Jedenfalls ist mein Unterricht 100-prozentig lustiger geworden, seitdem ich Kabarett mache.
Mögen Sie Ihre Arbeit im Berufskolleg?
Auf jeden Fall. Ich liebe es, wenn die Schüler:innen gar keine Lust aufs Lernen haben und ich es schaffe, sie mit Humor aus der Reserve zu locken. Zudem kann ich dadurch alle Kinder- und Jugendeinrichtungen kennenlernen, weil meine Schüler:innen dort lernen und arbeiten. So bleibe ich ständig mit jungen Leuten in Kontakt.
Was unterrichten Sie?
Meine Fächer haben mit Sport und darstellender Kunst zu tun. Das passt sehr gut. Ich lasse meine Schüler:innen spielen, richtige Spiele, die Spaß machen, und Bühnenspiele, die ebenfalls Spaß machen. Spielen ermöglicht, bestimmte Lebenssituationen nachzuspielen und damit gemeinsam etwas zu schaffen. So kommen Menschen mit völlig verschiedenen Hintergründen zusammen, drehen zum Beispiel einen Film, in dem jemand theatralisch dramatisch stirbt und berühren damit andere. Das macht ihnen Freude und denen, die es sehen.
Wie erarbeiten Sie Ihre Programme?
Vieles, was ich erzähle, habe ich erlebt. Die Briefe meiner Eltern an mich gibt es wirklich und auch meine Familie. Ich habe tatsächlich einen Einbrecher mit einem gruseligen Satz aus meiner Wohnung vertrieben. Zu diesen Themen arbeite ich mit einem Coach Klaus Findl zusammen und daraus wird dann mein Programm. Es sollen Geschichten sein, die mich selbst berühren. Nur so kann ich mein Publikum berühren.
Womit sind Sie aktuell unterwegs?
“An guten Tagen mach’ ich Dir die Königin der Nacht” ist mein Opernprogramm, in dem ich die Welt der Oper aus den Augen der Hildegart Scholten zeige und das Publikum im Klingelpütz-Theater singen. Dafür habe ich Gesangsunterricht bei Isabel Dürr genommen und bringe alle zum Singen, ob sie singen können oder auch nicht. Mit „Weihnachtsehrlich“ bin ich jetzt vor dem Fest unterwegs. Ich lade mein Publikum zu Familie Scholten ein, wo viel vorbereitet, gekocht und gebacken wird und so mancher deshalb sterben muss, in jedem Fall die Gans oder andere Tiere, die in den Kochtopf kommen. Und dann erzähle ich auch, dass meine Brüder ein Luftgewehr, ich jedoch ein Backblech zu Weihnachten bekommen habe. Also insgesamt ein besinnliches Weihnachten mit großen Geschenken, die eben nicht für alle groß sind. Weitere Programme sind „Grottenehrlich“, so wie Frau Scholten eben ist, und „Gefühlsecht“.
Was hat „Gefühlsecht“ mit Ihren Eltern zu tun?
In diesem Programm geht es um die Post meiner Eltern, die ich schon als Kind komisch fand. So bringe ich sie wieder zum Leben und kommentiere vor allem, was zwischen den Zeilen steht.
Sind ihre Programme nicht sehr privat?
Nein, ich nehme nur mein verkorkstes Leben und mache daraus Kunst. Ich bin nicht gern allein durch Regen und Sturm mit dem Fahrrad zur Schule gefahren. Auch in anderen Lebenssituationen habe ich gedacht, dass es anders laufen könnte.
Aber Frau Scholten ist nicht in alte Zeiten verliebt?
Sie ist ganz und gar nicht nostalgisch. Sie lacht über sich selbst, wie das Leben war und das bringt auch die anderen zum Lachen.
Und dann verfälschen Sie die Geschichten?
Ich erzähle sie anders, etwas anders als ich sie erlebt habe. Als Lehrerin spiele ich zum Beispiel mit Schüler:innen Spiele, die Spaß machen und die sie im Kindergarten einsetzen könnten. Auf der Bühne würde ich erzählen, dass ich mit denen Verstecken spiele. Dann sollen sich alle verstecken. Dann würde ich den „Lahmsten“ auswählen, der sie suchen soll, und schon ist die Stunde rum.
Warum tritt Frau Scholten in Stretch in Beige und Hellblau auf?
Frau Scholten trägt Stretch, weil das bequem und gut ist. Das könnte man sogar anhaben, wenn man beerdigt wird. Beige und hellblau Farben stehen ihr und das macht den Reiz von ihr aus. Zu mir passt eben klassische Kleidung und ich bin der Star in Stretch. Dann sag ich auch manchmal zum Publikum: „Sehen Sie, so sieht es aus“ und zeigt auf sich, „reich, berühmt und schön und jetzt schauen Sie sich an, das ist die andere Seite der Medaille“.
Verraten Sie uns noch zuletzt, was Sie in Ihrem Turnbeutel verstecken?
Sie lacht, während sie den Beutel öffnet und ausräumt. Da ist alles, was Hildegart Scholten auf die Bühne braucht, eine Wundertüte voller Bühnengeheimnisse und vor allem ihr Handy, mit dem sie mit ihren Eltern telefoniert.
Gibt es schon Pläne für zukünftige Programme?
Ja! Der Arbeitstitel ist: „Ich kann vor lauter Nächstenliebe nicht schlafen“. Frau Scholten wird übrigens neu eingekleidet werden. In das Beige und Hellblau soll ein bisschen mehr Glamour hinein. Das macht sie mit Pailletten in einer festlichen Version. Da wünsche ich mir, dass die Leute dann sagen: Ach die Frau Scholten ist auch eine Diva.
Vielen Dank für das Gespräch!
www.frauscholten.de
03.2025 // Redaktion: Hanka Meves-Fricke, Fotos: Monika Nonnenmacher