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„Wir erfinden Film“: Interview mit Eva und Volker A. Zahn
Eva und Volker A. Zahn sind ein erfolgreiches Drehbuchautorenteam und außerdem miteinander verheiratet. Gleich zwei Tatorte, für die sie das Drehbuch geschrieben haben, werden in nächster Zeit ausgestrahlt. Eva Zahn wurde in Karlsruhe geboren und studierte in Köln Geschichte und Sozialpsychologie. In den 1980er-Jahren arbeitete sie bei einer Kölner Stadtillustrierten und lernte dort Volker A. Zahn kennen. Er wurde in Neheim-Hüsten geboren und studierte Geschichte, Politik und Germanistik in Köln. Seit 1992 schreiben sie gemeinsam Drehbücher, nicht nur für Krimis. 1999 sind sie nach Sülz gezogen. Die INsülz hat mit beiden im „Balthasar“ am Auerbachplatz über ihre Arbeit, die Bedingungen bei den Medien, die Gesellschaft und Sülz als Wohnort gesprochen.
Im Herbst wird ein neuer Kölner Tatort gesendet, nach einem Drehbuch von Ihnen. Dürfen Sie schon etwas zur Handlung verraten?
Eva Zahn: Ja, er spielt in einem Bordell, in einem großen Laufhaus. Drei Prostituierte und ihre ganz persönlichen Dramen und Schicksale stehen im Mittelpunkt. Sie werden nicht, wie so oft, nur als Opfer von Gewalt gezeigt, sondern als Frauen, die tagtäglich um ihre Würde kämpfen und die mit den Traumata, die ihnen dieser Job beschert, klarzukommen versuchen. Das war uns wichtig.
Volker A. Zahn: Die Darstellung von Prostitution versinkt sehr häufig in den immer gleichen Klischees. Selten lernt man dabei die Frauen hinter ihrer Rolle als Prostituierte kennen. Ansonsten wird es ein klassischer Tatort: Auf jeden Fall passiert auch mindestens ein Mord (beide schmunzeln).
Im Frühjahr 2025 kommt ein Tatort von Ihnen, der teilweise auf dem Colonius spielt, und Sie waren auch dort oben. Wie war es denn oben? Als Normalbürger*in kann man leider seit Langem nicht mehr hinauf.
Eva Zahn: Es war sehr beeindruckend. Wenn man immer sagt, Köln ist eine hässliche Stadt …, von dort oben sieht man, dass Köln auch eine sehr grüne Stadt ist. Und von da oben sieht man auch den ganzen Dreck nicht. Es ist wirklich großartig, weil man bis ins Bergische Land, nach Düsseldorf oder in das Braunkohlerevier gucken kann.
Volker A. Zahn: Wir waren richtig geflasht von dem Ausblick. Es ist wirklich schade, dass so wenige Menschen die Möglichkeit haben, die Stadt mal von da oben zu sehen. Der Turm ist eine große Attraktion. Doch wie man hört, arbeitet die Stadt daran, den Colonius wieder für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Und worum geht es bei dem Tatort, der auf dem Colonius spielt?
Eva Zahn: In unserer Geschichte birgt der Turm ein dunkles Geheimnis, auf das die Kölner Kommissare bei ihren Ermittlungen zu einem aktuellen Mordfall stoßen. Der Film spielt auf zwei Zeitebenen, einerseits auf einer Technoparty in den 1990er-Jahren, diese Partys hat es damals auf dem Colonius tatsächlich gegeben, und andererseits in der Gegenwart.
In Ihrer Filmografie fällt auf, dass Sie einen Schwerpunkt auf dem Krimiformat haben. Drehbücher für bekannte Serien wie Bella Block, Ein starkes Team, SOKO Leipzig und immer wieder Tatort prägen Ihre Arbeit. Schreiben Sie tatsächlich am liebsten Krimis?
Eva Zahn: Nein. Das ist nicht unsere Vorliebe. Wir würden gern auch öfter andere Genres bedienen, aber der TV-Markt gab das in den letzten Jahren leider nicht her, Stichwort: Krimischwemme! Im Moment ändert sich das ein wenig, aber man sieht es ja in den Fernsehprogrammen: Jeden Tag werden im deutschen Fernsehen nach wie vor mindestens 100 Leute abgemurkst.
Ist der Krimi als Format besonders geeignet, um gesellschaftliche Zustände zu beleuchten? Mein Eindruck ist, auch durch Ihre anderen Filme, dass Ihnen das ein Anliegen ist.
Volker A. Zahn: Ja, wir haben immer viel Wert darauf gelegt, in unseren Filmen gesellschaftlich oder politisch relevante Themen mit zu erzählen. In unserem ersten Kiel-Tatort zum Beispiel die Kinderarmut, im Kölner Tatort „Abbruchkante“ die Probleme der Leute aus den abgebaggerten Dörfern im Braunkohlerevier oder im Tatort „Hubertys Rache“ die momentan leider weitverbreiteten Opfer- und Empörungsbefindlichkeiten.
Eva Zahn: Dieses Gefühl vieler Menschen, dass sie ungerecht behandelt werden und glauben, das Recht selbst in die Hand nehmen zu müssen. Für solche Themen eignen sich Krimis natürlich perfekt, weil man ein großes Publikum erreicht. Den Tatort „Abbruchkante“ haben über zehn Millionen Zuschauer gesehen. Solche Einschaltquoten würde man mit einem Drama nicht erreichen.
Ist mein Eindruck richtig, dass Sie beim Tatort vor allem Fälle für den Kölner und den Kieler Tatort schreiben? Wenn ja, warum – liegen Ihnen die Ermittler besonders, oder gibt es andere Gründe?
Volker A. Zahn: Kiel haben wir gern gemacht, weil wir Axel Milberg als Schauspieler sehr schätzen. Und beim Köln-Tatort stimmen einfach die Rahmenbedingungen, ein tolles Team von den Schauspieler*innen über die Produktion bis zur Redaktion. Außerdem kennen wir die Stadt wie aus dem Effeff, wir leben ja beide schon seit über 40 Jahren hier.
Eva Zahn: Wir haben aber erst vor vier Jahren angefangen, Kölner Tatorte zu schreiben. Es fühlt sich an wie Nachhausekommen. In Köln haben wir die Menschen im Ohr, wir wissen, wie sie ticken, wir kennen die Schauplätze. Das ist noch mal ein ganz anderes Wohlfühlen beim Schreiben, als wenn man sich in eine andere Stadt hineinversetzen muss.
Sie haben auch andere brisante Themen in Ihren Drehbüchern beschrieben. So zum Beispiel die Folgen der Duisburger Loveparade in „Das Leben danach“, für das Sie 2018 den Robert Geisendörfer Preis erhielten. Schon 2009 erhielten Sie den renommierten Grimme-Preis für den Film „Ihr könnt Euch niemals sicher sein“, in dem es um einen Jungen geht, der aufgrund verschiedener Vorkommnisse von seiner Umgebung kriminalisiert wird. Wie finden Sie Ihre Themen, und wie entscheiden Sie, über was Sie schreiben?
Eva Zahn: Das ist unterschiedlich. Das kann zum Beispiel eine kurze Zeitungsmeldung sein wie bei „Ihr könnt Euch niemals sicher sein“, da geriet ein Schüler unter Amok-Verdacht, weil er einen Rap-Text über ein Schulmassaker verfasst hatte. Da wurden bei uns sofort die Denkmaschinen angeworfen: Was könnte dahinterstecken, was passiert mit so einem Jungen? Ich wurde sofort an meine Schulzeit erinnert, was für einen Blödsinn wir gemacht haben und wie schnell es zu Missverständnissen zwischen den Generationen kommen kann.
Volker A. Zahn: Etwas über die Loveparade-Tragödie zu machen, wurde uns von einem Produzenten vorgeschlagen. Das fanden wir interessant, aber wir wollten keinen Film darüber machen, wie es zu dem Unglück kommen konnte. Wir wollten über die Menschen, die damals betroffen waren, erzählen. Und so kamen wir dann nach einigen Spaziergängen um den Decksteiner Weiher auf die Frage: Was ist eigentlich heute mit den Menschen, die damals traumatisiert wurden?
Eva Zahn: Das ist ohnehin ein Thema, das sich in vielen unserer Filme wiederfindet: Was passiert mit Menschen, die ein Trauma erlebt haben, wie wirkt sich das auch Jahre später noch aus? Und wie reagiert dann die Umwelt auf diese mitunter anstrengenden Menschen?
Volker A. Zahn: Andere Themen ergeben sich aus gesellschaftlichen oder politischen Debatten. Zum Beispiel bei unserem Film „Aufbruch ins Ungewisse“, da haben wir versucht, das Thema Migration auf eine besondere Art und Weise zu erzählen, als eine Dystopie: Wie wäre es, wenn wir Deutschen vor Bürgerkrieg und rechter Diktatur flüchten müssten, was passiert mit Menschen, die alles aufgeben müssen? Für unser Drehbuch haben wir 2020 den Menschenrechtspreis von Amnesty International bekommen.
Ihre Ideen werden also beim Umrunden des Decksteiner Weihers entwickelt. Wie können wir uns denn Ihre Arbeitsweise vorstellen?
Eva Zahn: Bei den Spaziergängen überlegen wir, was könnten das für Figuren sein, was für Charaktere, wo könnte die Geschichte hingehen. Hier erfinden wir die meisten unserer Filme. Es kann aber durchaus passieren, dass wir nach der Hälfte des Wegs verzweifelt sind und sagen: Nein, das wird leider nix! Am Ende haben wir dann aber doch meistens einen Ansatz.
Volker A. Zahn: Unsere Ideen werden dann während des Spaziergangs schon aufgenommen und als Audiodateien festgehalten. Bei der Themensuche zapfen wir alles an, es gibt ja auch spannende Geschichten aus dem Freundeskreis oder der Nachbarschaft.
Fahren Sie zu den Orten hin, wo die Drehbücher spielen? Sie geben darin ja auch dezidierte Anweisungen zu Locations und Umgebungen.
Eva Zahn: Bevor wir über eine Stadt schreiben, zum Beispiel für den Stuttgarter Tatort oder auch für Kiel, fahren wir natürlich hin, verschaffen uns einen Eindruck und recherchieren im Nachhinein weiter.
Volker A. Zahn: So kriegen wir auch ein Gefühl dafür, was in der Stadt interessant ist. Und eine Geschichte in Stuttgart erzählt sich anders als eine Story in Köln. Demnächst werden wir einen Tatort Dortmund schreiben, das ist dann noch mal eine ganze andere Tonlage. Wichtig für unseren Job ist aber auch, ständig den TV-Markt zu beobachten. Was wird gerade in den für uns relevanten Formaten verhandelt, wohin entwickeln sie sich, wo stehen die Figuren?
Wie lange dauert es eigentlich vom Drehbuch bis zur Verfilmung?
Eva Zahn: Das ist sehr unterschiedlich. Bei einem Köln-Tatort von der ersten Idee bis zur Verfilmung circa ein bis zwei Jahre, es gibt aber auch Projekte, die sich in der Entwicklung über mehrere Jahre hinziehen.
Volker A. Zahn: Es ist manchmal mühsam. Wir haben vor drei Jahren angefangen, eine Serie über den Missbrauchsskandal von Bergisch Gladbach zu entwickeln. Sechs fertige Bücher liegen vor. Wir hatten eine tolle Zusammenarbeit mit den Kölner Kriminalbeamt*innen, die diese Straftaten verfolgen, sie waren sehr offen, und wir haben unsere Geschichte aus deren Perspektive erzählt.
Eva Zahn: Das ist ein richtiges Herzensprojekt von uns. Wir haben lange recherchiert und viele Gespräche mit den zuständigen Kripobeamt*innen geführt. Diese Leute sichten jeden Tag Dateien mit schlimmsten Missbrauchsdarstellungen, das ist enorm belastend, aber ihr Ziel ist es, Kinder vor sexualisierter Gewalt zu bewahren. Wir hoffen, dass es vom WDR bald grünes Licht für die Verfilmung gibt.
Was natürlich alle Leser*innen des Heftes interessiert: Wie klappt das so als Ehepaar mit dem gemeinsamen Arbeiten, und wie kam es dazu?
Eva Zahn:Wir haben uns bei einer Kölner Stadtillustrierten kennengelernt und schon damals zusammengearbeitet. Witzigerweise haben wir zu der Zeit auch schon eine Serie entwickelt, obwohl wir null Ahnung hatten, wie so etwas geht. Das war zur Zeit von Dallas und Denver (Anmerkung der Redaktion: US-TV-Serien in den 1980er-Jahren). In unserer Serie ging es um den Krieg zweier Kneipendynastien in der Kölner Südstadt.
Volker A. Zahn: Wir haben ein kleines Heft vollgeschrieben und im Grunde genommen fast schon so gearbeitet, wie wir das heute immer noch machen.
Noch mal nachgefragt, wie klappt das denn so als Ehepaar?
Eva Zahn: Der große Vorteil ist, dass wir uns jederzeit absprechen können. Wir können immer sofort über die Figuren oder die Geschichte reden, wenn wir einen Einfall haben. Allein könnte ich eine Geschichte nicht so fundiert entwickeln. Der Nachteil ist natürlich, dass man sich auch zankt, wenn es anstrengend wird. Es ist ja nicht so einfach, wenn man vom Partner kritisiert wird.
Volker A. Zahn: Da kommt bei uns beiden auch die künstlerische Eitelkeit ins Spiel. Andererseits machen wir den Job jetzt schon so lange, dass wir wissen, wenn einer von uns sich nicht wohlfühlt, dann macht das Ganze keinen Sinn.
Eva Zahn: Wenn wir mit unserer Arbeit fertig sind und die Bücher abgeben, müssen wir uns natürlich mit jeder Menge kritischer Nachfragen auseinandersetzen. Dann ist es sehr gut, dass wir beide zufrieden sind und geschlossen auftreten können.
Volker A. Zahn: Die Art und Weise, wie wir arbeiten und auch kritisch miteinander umgehen, führt dazu, dass wir schon im Vorfeld viele knifflige Fragen klären. So können wir auch Fehler vermeiden.
Eva Zahn:Aber leider hat ja vieles mit Geschmack zu tun oder mit Haltung und Humor – und da entscheidet natürlich der Auftraggeber. Das ist manchmal nicht einfach auszuhalten. Es ist eine der wichtigsten Eigenschaften eine*r Drehbuchautor*in, mit Kritik umgehen zu können. Wir lieben unsere Figuren
Wie schaffen Sie es denn, wenn Sie beide zusammenleben und arbeiten, mal mit der Arbeit aufzuhören?
Volker A. Zahn: Wir versuchen, ganz normale Arbeitstage einzuhalten, also nine to five, und die Wochenenden frei zu halten. Aber das sagt sich natürlich einfacher, als es ist. Andererseits: Wir lieben ja unsere Geschichten und Figuren, wir haben die auch gern dabei. Dadurch haben wir immer Gesprächsstoff.
Eva Zahn: Wir können aber auch gut abschalten. Im Urlaub zum Beispiel bin ich es oft, die sagt, ich habe jetzt keine Lust.
Ist Sülz für Sie ein guter Ort zum Leben und Arbeiten?
Volker A. Zahn: Ich komme aus einer sauerländischen Kleinstadt, und alles, was ich als Kind dort geliebt habe, bevor die Innenstadt verödet ist, finde ich in Sülz wieder, die schöne Mischung aus besonderen Geschäften, der Markt auf dem Auerbachplatz, die vielen vertrauten Gesichter, gute Kneipen und Restaurants, ein angenehmes Miteinander-Gefühl. Und das alles in Kombination mit den Vorteilen einer Millionenstadt.
Eva Zahn: Und die Nähe zum Stadtwald ist für uns ganz wichtig, Stichwort: Brainstorming-Runden. Immer mal wieder überlegen wir, ob wir woandershin ziehen wollen. Aber wir kommen immer wieder an den Punkt, dass wir sagen: Eigentlich leben wir hier genau das Leben, das wir wollen. Wir kennen hier viele Leute, wir haben hier viele Freund*innen, es ist so vertraut hier.
Volker A. Zahn: Außerdem sind wir gern zu Fuß unterwegs, und da ist Sülz einfach ein optimaler Standort. Man ist schnell in der Südstadt oder in der Innenstadt.
Was gefällt Ihnen in Sülz denn nicht?
Volker A. Zahn: Dass die Berrenrather Straße immer noch nicht umgebaut ist. Das dauert jetzt schon ewig. Wir brauchen dringend eine neue Aufteilung des öffentlichen Raums zugunsten von Fahrrädern und Fußgänger*innen. Außerdem fände ich Tempo 30 auf der Luxemburger Straße ein wichtiges Signal.
Eva Zahn: Es gibt auch in Sülz leider immer noch eine klare Hierarchie: Autos vor Kindern – das muss sich unbedingt ändern!
Vielen Dank für die interessanten Einblicke und die offenen Worte zum Veedel!
08.2024 // Interview: Dorothee Mennicken, Foto Nonnenmacher