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Wertgeschätzt, bespitzelt und unbezahlt: Sülzer Wahlbeobachter*innen im internationalen Einsatz
„Demokratie“ – ein Wort, das im Frühjahr 2025 beinahe wieder antik anmutet. Von der Herrschaft des Volkes zur Despotie des Einzelnen sind es von Deutschland aus nur wenige Flugstunden. Eine Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2024 zählte weltweit nur noch 63 Demokratien, denen 74 Autokratien gegenüberstehen. Der jährlich erscheinende Transformationsindex (BTI) der Stiftung dokumentiert eine „kontinuierliche Verschlechterung“ freier Wahlen und eine „Erosion“ demokratischer Strukturen. Doch dass dieser Trend nicht unumkehrbar ist, zeigen Beispiele wie Polen und Brasilien, wo extremistische Amtsträger*innen in den vergangenen Jahren abgewählt wurden.
Um manipulierte Wahlen aufzudecken, dokumentieren seit Jahrzehnten internationale Beobachter*innen den Wahlablauf – etwa im Auftrag der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa). Dem 1995 gegründeten Staatenverbund gehören 57 Nationen an, darunter die USA, Kanada und die Mongolei. Alle Mitgliedsstaaten verpflichten sich, Wahlbeobachtungen im eigenen Land zuzulassen. Zu den rund 1.000 deutschen Einsatzkräften zählen auch drei Bürger*innen aus Sülz.
„Viele Leute sagen, dass sie sich sicher fühlen, weil wir da sind.“ – Kerstin Roeske
Kerstin Roeske ist seit 2004 als Wahlbeobachterin im Einsatz. Hauptberuflich arbeitet sie als Beraterin für eine Nichtregierungsorganisation, die entwicklungspolitische Projekte initiiert. „Unsere Einsätze sind ehrenamtliche Kurzzeitmissionen, die mehrere Tage dauern. Daneben gibt es Langzeitbeobachter*innen, die bis zu sechs Wochen bleiben, und sogenannte Longtime-Beobachter*innen, die bereits drei Monate vor der Wahl anreisen, um Medien, Gerichte und Institutionen zu analysieren.“
Die Delegationen treffen wenige Tage vor einer Wahl in der Hauptstadt des jeweiligen Landes ein und werden dort über das Wahlsystem, den bisherigen Wahlkampfverlauf und die politische Lage informiert. Anschließend werden sie mit Dolmetscher*innen und Fahrer*innen auf verschiedene Regionen verteilt. Die lokalen Wahlkommissionen wissen nichts von den Besuchen. Am Wahltag selbst steuern die Teams mehrere Wahllokale an. Ihre Eindrücke übermitteln sie in standardisierten Berichten an die OSZE-Zentrale in Warschau.
Besonders achten Wahlbeobachter*innen auf Details: „In Georgien war es irritierend voll. Wir wussten nicht, ob darunter Personen waren, die die Wähler*innen überwachen sollten. Wir prüfen auch, ob die Wahlkabinen einsehbar sind oder ob wirklich nur ein Stimmzettel in die Urne gesteckt wird“, berichtet Roeske. Eine ihrer skurrilsten Erfahrungen hatte sie in Nordmazedonien: „Wir haben das Wahllokal einfach nicht gefunden – bis sich herausstellte, dass es die Kapelle auf dem Friedhof war. Es war wirklich nett dort.“
Trotz gelegentlicher Anfeindungen zieht sie eine positive Bilanz: „Viele Leute sagen, dass sie sich sicherer fühlen, weil wir da sind. Das ist Bestätigung genug.“
„Auch in Deutschland gibt es OSZE-Wahlbeobachtung.“ – Pavel Utitz
Zum Sülzer Team gehört auch Pavel Utitz. Der 71-Jährige ist seit mehr als zehn Jahren als Wahlbeobachter aktiv. „Ich war schon immer an Wahlprozessen interessiert. Als ich dann mehr Zeit hatte, habe ich mich beim Zentrum für internationale Friedenseinsätze in Berlin beworben“, erzählt der Rentner. Diese Einrichtung ist dem Auswärtigen Amt angegliedert.
Gute Englischkenntnisse sind eine Grundvoraussetzung, ebenso Erfahrung als Wahlhelfer*in in Deutschland. Bewerber*innen müssen zudem in einem Motivationsschreiben darlegen, warum sie sich engagieren wollen. In seiner Rolle als Wahlbeobachter versteht sich Utitz als neutrale Instanz: „Wir dürfen nur schriftlich dokumentieren, aber nicht eingreifen.“
„Bei meinen Einsätzen wurde ich schon offensichtlich bespitzelt.“ – Oliver Scheel
Ein Klischee räumt Oliver Scheel sofort aus: „Wahlbeobachtung hat mit Urlaub überhaupt nichts zu tun. Unser Wahltag endet nicht mit Schließung der Wahllokale – wir begleiten das Team oft die ganze Nacht, bis alle Daten erfasst sind.“ Der 50-jährige Journalist ist seit Jahren für die OSZE weltweit im Einsatz.
Reisekosten, Unterkunft und Verpflegung werden vom Auswärtigen Amt übernommen. „Im Prinzip überprüfen wir, ob die Wahlrechtsvorgaben des jeweiligen Landes eingehalten werden.“ In zwölf Einsätzen hat Scheel viele Einblicke gewonnen – auch in die Schattenseiten der Mission. „Ich bin schon offensichtlich bespitzelt worden, zur Einschüchterung. Und manchmal wurden wir auch beobachtet, ohne dass wir es merken sollten.“
Bei ernsthaften Bedrohungen gilt jedoch eine klare Regel: Der Einsatz wird abgebrochen. „Unsere Sicherheit steht an erster Stelle.“ Trotzdem hält Scheel Wahlbeobachtungen für essenziell: „Wenn eine Opposition im Gefängnis sitzt, können Machthaber*innen zwar einen perfekten Wahltag inszenieren – aber unsere Berichte decken auf, dass es nicht mit rechten Dingen zuging.“
Wie wertvoll demokratische Rechte sind, wurde ihm in einem Gespräch mit einer ungarischen Übersetzerin bewusst. „Sie war als lesbische Künstlerin aktiv und wollte ihr Land verlassen, weil sie es unter Orban nicht mehr ausgehalten hat. Sie hat mich gefragt, wie es in Deutschland ist. Da wurde mir wieder klar, wie gut wir es hier haben.“
Weitere Informationen zur Arbeit der Wahlbeobachter*innen gibt es auf der Website des Zentrums für internationale Friedenseinsätze.
02.2025 // Redaktion: Thomas Dahl, Fotos: Monika Nonnenmacher
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